AUSDRUCKSMALEN MIT TRAUMATISIERTEN MENSCHEN

Beiträge von Annette Zoller, Karen Ritterhoff und Ulrike Pflomm

Ausdrucksmalen und Trauma [Annette Zoller]
Begleiten in der Dunkelheit
[Karen Ritterhoff]
Ein ganzer Mensch werden
[Ulrike Pflomm]

AUSDRUCKSMALEN UND TRAUMA

Ein Beitrag von Annette Zoller

Das Ausdrucksmalen habe ich bei Laurence kennengelernt und bin mit ihm über Jahre diesen Weg gegangen. Ich bin von Beruf Ergotherapeutin und arbeite seit fünf Jahren im Frauentherapiezentrum in München in der Praxis für Ergotherapie mit psychisch erkrankten Frauen, die oftmals traumatisiert sind. Nachdem ich von der Leitung der Praxis, Frau Schreiner, aufgefordert wurde, eine Gruppe Ausdrucksmalen anzubieten, arbeitete es in mir. Wie kann ich Ausdrucksmalen mit dem verbinden, was ich erfahren habe über traumasensibles Arbeiten? Wo ist es wichtig, dem einen Grundsatz Vorrang zu geben vor dem anderen? Vor allem, wie kann ich die Gruppe so gestalten, dass es zum Wohl der Klientinnen ist?

Die Zusammensetzung der Gruppe wurde durch die Malwand vorgegeben: es gibt Platz für vier bis fünf Klientinnen. Auch die Zeit wird von den äußeren Rahmenbedingungen vorgegeben: drei Stunden. Eine Gruppe geht über zehn Dienstage. Voraussetzungen für die Gruppenteilnahme gestalte ich folgendermaßen: Pünktlichkeit und regelmäßige Teilnahme, Steuerungsfähigkeit von Gefühlen, Lust am Malen, Reflexionsfähigkeit und der Wunsch, mehr über sich selbst zu erfahren.

Ich gestalte die Gruppe so, dass wir zu Beginn und am Ende jeweils Zeit haben, um anzukommen und zu teilen, wie es jeder Frau geht und wie sie nach Hause gehen möchte, mit dem Fokus auf das Hier und Jetzt.

Grundsätzlich mag ich es gern, wie ich es bei Laurence gelernt habe, in Gefühle hineinzugehen, diese zu durchleben und danach zu sehen, wie es dann weitergehen kann. Dies war der Punkt, über den ich mir bei der Vorbereitung und Durchführung der Gruppe am meisten Gedanken machte. Denn dies steht dem, was ich über Trauma und dessen Folgen wusste, entgegen und kann sogar schädlich sein.

Dies ergibt sich aus folgender Situation:

Wenn ein Mensch ein Trauma erlebt (sei dies aufgrund Naturkatastrophen, Unfälle, Gewalter fahrung, sexualisierter Gewalterfahrung etc.) so bleibt das nicht ohne Konsequenzen. Im Gehirn passiert vereinfacht Folgendes: der neuere Teil des Gehirns, der Neocortex ist unter anderem zuständig für das Treffen bewusster Überlegungen und Entscheidungen. Dieser Teil wird automatisch bei Lebensgefahr (hier ist ein subjektives Gefühl ge meint und Auslöser für ein Trauma) ausgeschaltet und das Hirn reagiert aus dem Stammhirn heraus. Hier werden schnelle unbewusste instinkthafte Entscheidungen getroffen: Kampf, Flucht oder Erstarrung. Die Situation wird aus dem Stammhirn heraus bewältigt und in diesem werden auch die Erinnerungen an diese Situation gespeichert.

So kann es sein, dass ein Mensch im bewussten alltäglichen Zustand keine abrufbaren Erinne- rungen mehr an die lebensgefährliche Situation hat. Diese können jedoch durch sogenannte Trigger wieder ausgelöst werden und zwar in jeder Situation. Es kann dies ein Geruch, ein Wort, eine Stimme, ein Blick oder ähnliches sein. Der Mensch, der dies dann erlebt und sich plötzlich wie aus dem Nichts heraus mit Gefühlen der Todesangst, Panik o.ä. überschwemmt fühlt, versteht meist nicht, was hier vor sich geht.

Was im Gehirn in dieser Situation passiert ist, dass es diesen Auslöser wahrnimmt, der Neocortex wird wieder ausgeschaltet und das Gehirn reagiert wie in der vormals (manchmal Jahre früheren) er lebten Situation mit Kampf, Flucht oder Erstarrung. Wichtig ist es, diesen Kreislauf zu unterbrechen: die Trigger zu erkennen, sie als solche einzuord nen und Dinge zu erlernen, die helfen, wieder ins Hier und Jetzt zu kommen (dies können Erdungs-, Orientierungs- und Achtsamkeitsübungen sein; Methoden, die über die Sinne arbeiten: hören, sehen, riechen, schmecken, fühlen).

Für Betroffene bedeutet es, wenn sie immer wieder angetriggert zu werden, die Bahnen der

traumatischen Erfahrung im Gehirn wieder zu vertiefen und somit das Hirn zu schädigen, da die traumatische Erfahrung immer wieder wieder holt wird. Es ist wie eine Autobahn, die bei jedem Auslöser wieder wie von allein befahren wird. Und nun geht es darum, Ausfahrten zu schaffen, Feld wege anzulegen mithilfe von Methoden, Übungen. Denn die Handlungsfähigkeit ist in solchen Fällen erheblich eingeschränkt. Außer dem traumati schen Verlauf zu folgen, ist mehr erstmal nicht möglich. So ist es wichtig, dass die Betroffenen Selbstwirksamkeit erfahren, dass sie also durch Handlung diesen Verlauf beeinflussen können.

Und hier ist also der springende Punkt, an dem es für mich immer wieder eine Gratwanderung ist, wenn die Klientinnen auf ihren Bildern Hoffnungs losigkeit, Verzweiflung und Ängste darstellen und diese Gefühle auch unmittelbar erleben.

Mir ist eines ganz bewusst geworden: um eine traumatische Erfahrung verarbeiten zu können, bedarf es einer guten, sicheren Bindung und den professionellen Hintergrund einer Psychotherapie. Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, brauchen lange Zeit, um eine Bindung einzugehen.

Dies gelingt in der Länge einer Gruppe Ausdrucks malen oftmals nicht. So bin ich selbst sorgsam und achtsam bei der Begleitung, nehme wahr und be obachte, wie es den Klientinnen geht und was auf den Bildern entsteht. So ist immer wieder Thema, welche Methoden jede Klientin bisher gefunden hat, sich zu regulieren. Denn so kann ich ihnen, wenn sie beim Malen von traumatischen Ge- fühlen überschwemmt werden sollten kommen, Hilfestellungen geben.

Durch ein Beispiel, das ich hier gern erzähle, ist mir bewusst geworden, dass es nichts bringt, wenn eine Klientin immer wieder oben genannte Gefühle darstellt und erlebt.

Die Klientin, von der ich berichten möchte, war 60 Jahre alt, war psychisch erkrankt, war in Altersteilzeit, hatte eine erwachsene Tochter, lebte allein und war geschieden, ohne Partner.

Sie malte immer wieder Bilder, die von schwarz und rot geprägt waren und ich erfuhr Teile ihrer Lebensgeschichte dadurch. Sie war als Baby in einem Waisenhaus gewesen, hatte Vernachlässigung und Lieblosigkeit erfahren und hatte dies in ihrer Ehe wiederholt. Nachdem ich merkte, dass sie aus diesem Strudel nicht herauskam, forderte ich sie heraus, eine andere Sichtweise einzunehmen, indem wir das Bild drehten. So konnte sie in sich hinein spüren und andere Blickwinkel erleben. Zuerst war da ein: „Drehen Sie schnell weiter, das ist ja eine Spinne, das halte ich nicht aus!“ Und so drehten wir weiter bis zur letzten Drehung, bei der sie dann auf Nachfragen sagte, dass sie hier nun einen Käfer sehe, der in ein Erdloch hinein schaut. Bei der weiteren Besprechung fragte ich nach dem Hellen, Gelben hinter dem Käfer und sie erzählte, dass hier die Sonne sei, hinter dem Käfer und wenn er nur den Kopf dreht, dann sieht er die Sonne auch. Nun hatte sie einen neuen Blickwinkel gefunden.

Die Ausdrucksmalgruppe war für diesen Tag hier beendet. Beim nächsten Mal wollte sie das Bild wieder in die Position hängen, die es zu Beginn hatte. Es konnte gut möglich sein, dass hier die alten, gewohnten Verhaltensweisen wie automa tisch abliefen. Nachdem ich die Klientin darauf aufmerksam machte, stellte sie fest, dass das, was wir das letzte Mal besprochen hatten, wie verges sen gewesen war. An diesem Tag stand nun für sie ein Konflikt mit ihrem Ex-Mann im Vordergrund, der dann beim weiteren Malen des Bildes mit einfloss.

Nach eineinhalb Jahren Ausdrucksmalen hörte die Klientin auf, da sie zu einer Reha ging, und sie sagte zum Abschied, dass sie hier gelernt habe, ihren Blickwinkel zu verändern.

Meiner Ansicht nach war beides wichtig für sie: einerseits die Konfrontation mit den Gefühlen der Verzweiflung, der Angst, der Hoffnungslosigkeit und dabei das Gefühl entwickeln zu können: ja ich kann mich damit konfrontieren und ich halte es aus (wobei ich aus heutiger Sicht, früher Angebote machen würde in eine andere Richtung) wie auch die Stabilisierung — das Bild, das sie gefunden hatte: sich umzudrehen und in die Sonne schauen!!

Annette Zoller

BEGLEITEN IN DER DUNKELHEIT

Ein Beitrag von Karen Ritterhoff

Es gibt so viele Dunkelheiten.
Da sind die Dunkelheiten im Bild, ein Universum von Farben und Färbungen von schlammbraun dunkel, tiefblaudunkel, waldgründunkel, nebel graudunkel usw. mit ebenso vielen möglichen Aus- und Eindrücken. Die Dunkel können vernichten, zerstören, verschlingen, konturieren, kontrastie ren, Schatten sein, verdecken, locken, faszinieren, abschrecken… und mein Eindruck vom Dunkel ist oft nicht der gleiche wie der Malenden. Doch die se Dunkelheiten sind da, zeigen sich und können wahrgenommen werden. Bilddunkelheiten sind in meiner Begleitungserfahrung selten problematisch.

Und dann gibt es die dunklen Gefühle bei der/dem Malenden oder bei mir, die manchmal — nicht im mer — zusammengehen mit den Bilddunkelheiten. Dunkle Gefühle — was ist das überhaupt? Warum sagen wir dunkle Trauer oder helle Freude?

Gibt es das auch anders herum, helle Trauer und dunkle Freude? Das kann wohl jede/r nur selbst benennen, doch allgemein werden meist Angst, Schmerz, Trauer mit dunkel verbunden, manchmal auch Ärger, Scham oder dunkelheitstief die Sehnsucht. Mit den Gefühlen geht es mir (meist) wie mit den Bilddunkelheiten; wenn sie sich zeigen, da sein dürfen, kann ich mit ihnen sein und sie lassend begleiten.

Es sind andere Dunkelheiten, die mir Mühe machen. Zum Beispiel die Dunkelheiten im Kontakt, wenn ich mit einem Bild irgendwie nicht in Kontakt komme, unberührt bleibe, nichts damit anfangen kann, mir etwas dunkel ist, fange ich an, selber dunkel zu werden, die Begleitung verliert an Boden, wird wackelig, ein diffuses Unwohlsein beginnt. Oder wenn der Kontakt zur Malenden nicht gelingt, was bei mir übrigens oft einhergeht mit dem seltsamen Kontakt zum Bild der Malen den. Zweimal bin ich mit diesem Phänomen (Ich bin unberührt von einem Bild oder einer Malen den und es entsteht ein unklares unbefriedigendes Gefühl im Kontakt, ich nenne es mal eine Kontaktdunkelheit) in Supervision gegangen. Dort kam unter anderen die Frage auf, ob vielleicht etwas dunkel bleiben soll, ein Kontakt einfach (noch) nicht möglich ist und damit auch die Verbindung zu möglichen Traumatisierungen. Ohne die Antwort zu kennen, hat mich diese Frage sofort entlastet. In einem Fall zeigten sich später Bezüge zu erlebten traumatischen Erfahrungen, also nicht verkrafteten Dunkelheiten, im anderen Fall blieb es weiter im Dunklen. Ich will aus diesen Begleitungserfahrungen keine Regel oder einen Indikator für Traumaerfahrung ableiten, doch ich bin etwas wacher geworden, den Aspekt der nicht verkrafteten oder verkraftbaren Dunkelheit mitzubedenken oder mitzubefühlen. Spannend ist für mich auch, dass allein die Frage oder die Berechtigung von „Kontaktdunkelheiten“ oder auch „Blindheiten“ mich und auch den Kontakt so entlastet hat, was mich noch zu einer anderen Dunkelheit führt.

Diese Dunkelheit wohnt zunächst einmal nur in mir und ist die Angst „doof dazustehen“, keine gute Begleitung zu sein, zu versagen. Beim ehrlichen Hingucken ist es bei mir nicht allein die Angst, dem anderen nicht helfen zu können, wenn ich nicht in den Kontakt komme, sondern die Angst, nicht gut, nicht richtig, nicht wertvoll zu sein. Diese Angst in mir ist ein lichtscheues Wesen, das natürlich auch klammheimlich immer auf Entdeckung hofft, wie sie eben so sind, diese lichtscheuen Wesen. Und da treffen sich dann vielleicht auch manchmal die Dunkelheiten vom Malenden und mir, in dieser Furcht nicht richtig zu sein.

Es gibt so viele Dunkelheiten.

Karen Ritterhoff

EIN GANZER MENSCH WERDEN

Ein Beitrag von Ulrike Pflomm

Wie kann ein Heilungsweg aus tief greifenden Missbrauchserfahrungen gelingen? Und was ist das besondere und kostbare Potential, das Men schen, denen dieser oftmals diffizile Weg geglückt ist, ihren Mitmenschen zur Verfügung stellen können?

Mich berührte zu diesem Thema sehr das 2006 von Liane Dirks geschriebene Nachwort in ihrem autobiografischen Roman: „Die liebe Angst“.

Ich habe versucht, den 16 Seiten umfassenden Text in seiner Essenz zusammenzufassen und da bei sehr eindrückliche Formulierungen im Wort laut zu belassen.

Der Roman „Die liebe Angst“ von Liane Dirks erschien erstmals 1985 und wurde zu einem Klassiker in der Literatur über sexuellen Missbrauch. 2015 wurde er nun erneut als Taschenbuch aufgelegt.

In dem Roman beschrieb Liane Dirks ihre eigene Geschichte von sexuellem Missbrauch durch den Vater.

Den Roman selbst empfand ich beim Lesen einerseits als literarisch herausragend, kunstvoll verdichtet, durchgehend Partei nehmend für das Mädchen, aus deren Erleben das Geschehen ohne Anklage oder Reflexion aus späterer Erwachsenen sicht erzählt wird.

Andererseits fühlte ich mich durch das Buch aber auch sehr aufwühlt und belastet. So las ich den Roman nur quer, was ich eigentlich nicht gut kann. Ich wurde vom Buch in meinem Durchhalten aber letztlich belohnt durch das Nachwort, das mich sehr berührte.

Wie es ihr möglich war, den Roman zu schreiben, reflektiert Liane Dirks über 20 Jahre später in ihrem Nachwort. Dies gelang ihr aus einem besonderen Vertrauen:

„Urvertrauen: die Vorstellung, das Gefühl, das Wissen, geliebt werden zu können, wie man ist. Das heißt auch, dass man in seinem Kern gut ist, einfach gut, nur gut.“

Dieser Kern zeichne jeden aus, nicht nur jeden Menschen, letztlich alles was sei. Komme der Kern zum Wirken, nenne man das Liebe. Diese Liebe verunsichere aber, denn sie ist „eine fordernde Kraft, eine Kraft die befreien will, die Fesseln, Lügen und Halbheiten nicht duldet.“ Und das mache vielen Menschen Angst.

Das sei letztlich die Angst vor dem „Leben, das in seinem Kern gut ist, nur gut. (Ein Gutsein, das das tierische Fressen und Gefressen werden einschließt.“ Sie beschreibt Inzest oder sexuellen Missbrauch letztlich als einen unmittelbaren Angriff auf die Seele.

Den Tätern gehe es aus einem Mangel aus Verbindung, Vertrauen, Urvertrauen in die Seele, also in sich selbst, darum, diesen reinen Kern, das Innerste, die Unschuld, das Licht des Anderen beim Kind zu erfahren, sich ihn anzueignen.

Insofern hätten die Opfer von Inzest den Tätern gegenüber oft einen Vorsprung und sie hätten Mitleid mit den Tätern, „denn sie spüren, dass sie mehr haben als er oder sie, mehr von dem, was das Leben ausmacht, …, dass sie einen besseren Zugang dazu haben.“ Sie würden die Bedürftigkeit des Täters schnell erkennen und sie verbündeten sich mit ihm, nicht aber, niemals! mit der äußeren Tat des Menschen.

Anfangs könne das Opfer sich die Kraft seines Schatzes bewahren. Aber das Spiel sei grausam. Das Lob mit dem am Anfang vom Täter immer ge arbeitet würde, reiche nie aus. Irgendwann mache der Täter das Opfer schlecht, kippe ganz viel Dreck drauf auf das Licht. Er verschütte den Zugang.

Denn die Wahrheit sei: „Man kann diesen Schatz nicht teilen, man kann nichts abgeben davon, das Licht kann man nur leuchten lassen, und dadurch werden die Begegnungen mit anderen hell. Licht ist unteilbar, aber ansteckend.“

Liane Dirks beleuchtet weiterhin auch die Hinter gründe in unserer süchtigen Gesellschaft, die fast ebenso viele Täter wie Opfer hervorbringe, und die Geschichte der öffentlichen Diskussion über Missbrauch von 1985 bis heute.

Wie kann es eine Lösung aus der Zwickmühle geben, in denen Opfer stecken, um aus ihrem Opfertum herauszukommen?

Das Opfer, das nicht mehr Opfer sein wolle, müsse den Täter betrachten, nicht um zu verzeihen oder zu verstehen, sondern um ihn verlassen zu kön nen.

„Auf das Weggehen kommt es an. Auf das: Es ist vorbei. Auf das langsame Wachsen der Freiheit, darauf, sein eigenes Leben zu entwerfen.“

„Liebe, Befriedigung, Anerkennung sind Werte, die in unserer Gesellschaft durch das Außen eingelöst werden.

 

Die Opfer von Inzest und sexuellem Missbrauch werden nur frei, wenn sie diese Werte in sich selber entdecken, wenn sie sich selber lieben lernen. Tun sie das, dann lösen sie sich zugleich aus allen Abhängigkeiten. Ihr Trauma verwandelt sich in ein unglaubliches Potential, es ist das Potential der Selbstwerdung, zu nichts geringerem als das. Und das macht ebenjene ehemaligen Opfern für unsere Gesellschaft – je nach dem aus welchem Blickwinkel man sieht – so kostbar, wenn es um Erneuerung, um wirkliche Freiheit und um positive Werte geht, oder so gefährlich, wenn man aus dem Blickwinkel der Angst sieht.

 

Aber es gibt kein Halten, wer einmal die Wahrheit sagt, wird es immer wieder tun, und wer den Weg der Freiheit geht, der geht ihn immer weiter.

 

Und das Seltsame daran ist, je weiter man geht, desto weniger wichtig ist man dabei. Dieses aufgeplusterte Inszenieren der Leidensgeschichte, dieses unentwegte Behaupten, wer man ist, was man kann, wieviel man verdient und wie berühmt man ist, es wird so durchsichtig, die Bedürftigkeiten liegen bloß, diese ganze Anstrengung, das unentwegte Kontrollieren, immer alles im Griff haben wollen, es ist das Gegenteil des Urvertrauens.

 

Wer seinen Kern, sein Licht, wieder entdeckt, hat dieses ganze Theater nicht mehr nötig. Und das macht frei, das ist Freiheit!

 

Eine Freiheit, die so kraftvoll ist wie die Abenteuerlust eines Kindes und ebenso verspielt und freudig wie diese. Es kommt einer Revolution gleich, das ganze Leben wird anders und neu.

 

Wer nicht mehr im Außen suchen muss, der kommt zu sich selbst und so, auf ganz neue Art und Weise, zu dem Anderen, dem Gegenüber.

 

Erst dann werden freie Beziehungen möglich. All diese Verwicklungen, die die Opfer in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen und vor allem in Liebesdingen erleben, sie hören auf. Dieser Zustand ist kein seliger, aber ein zutiefst glücklicher, er ist so voller Glück, dass man weinen möchte. Über das Menschenmögliche, über dessen negative Seite man als Kind noch ganz anders weinen musste.

 

Ich habe einige dieser ehemaligen Opfer kennengelernt. Sie sind nicht unbedingt die äußer- lich Erfolgreichsten in unserer Gesellschaft, das liegt an den Werten, die wir haben. Aber es sind Menschen von wahrer Größe, und jeder und alle erkennen das sofort. Und für diese Größe brauchen sie nichts. Sie ist einfach da. Wenn Menschen es schaffen, in Würde Ja und Nein zu sagen, dann ist viel erreicht.“

Was Ziel der Befreiung sein kann, fasst Dirks am Ende noch einmal zusammen: Das Zurückgewinnen von Freude und Vertrauen in sich selbst. „Es ist schöner als alles. Man lebt sein Leben, sein eigenes großartiges Leben. Man wird frei.“

Es ist eine Freiheit, die einem mit allem Leben zugleich verbindet. „Sie ist nicht selbstbezogen. Und deshalb wird man auf befreiende Weise zugleich bescheiden. Man wird Mensch. Jenseits von Opfer- und Täterdenken. Es ist genau das, worum es im Leben geht. Ein ganzer Mensch zu werden.“

Ulrike Pflomm

Auszug aus „AUSDRUCK 1/16“ – Newsletter des
Netzwerks Ausdrucksmalen nach Laurence Fotheringham e.V.
erschienen im Juli 2016

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